Das COE und Nikolaus Harnoncourt

Einleitung

Nikolaus Harnoncourt war über 30 Jahre lang ein enger und engagierter Freund des Chamber Orchestra of Europe. Für diejenigen von uns, die das Glück hatten, über drei Dekaden mit ihm zu arbeiten, war sein Einfluss – sowohl auf das Kollektiv bezogen, wie auch individuell – so offenbarend wie tiefgreifend. Seine heurausragende musikalische Persönlichkeit übte einen bedeutenden Einfluss auf uns alle aus.

Mit Nikolaus teilten wir ein fundamentales Verständnis über die Bedeutung Musiker zu sein. Seine überragende Kenntnisse des Repertoires und der Aufführungspraxis teilte er uns durch seine Kraft, seine schier grenzenlose Energie und seine Charakterstärke mit – und er entführte uns in musikalische Welten, die wir uns bis dato nicht vorstellen konnten, die aber unser Leben veränderten.

Sein Einfluss und seine emotionale Verbindung zu uns wird immer lebendig bleiben. Wir sind dankbar dafür, mit ihm diese großartige musikalische Reise unternommen zu haben – und dafür, dass wir ihm eine „großartige Abenteuer-Truppe“ waren.

 

Wie alles begann

Die Beethoven-Aufnahmen des Chamber Orchestra of Europe unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt von 1991 markierten den Beginn einer langanhaltenden künstlerischen Zusammenarbeit und Freundschaft, und gleichzeitig schon einen ersten von vielen Höhepunkten daraus. Dass dieses erste Aufeinandertreffen ein reines Beethoven-Projekt war, erscheint in der Rückschau so evident wie natürlich.

Die ersten Proben im Oktober 1986 fanden in einem muffigen Aufnahmestudio im Innersten des Wiener Konzerthauses statt. Dieses musikalische „blind date“ wurde arrangiert von einem abenteuerlich gesinnten (oder visionären) Impressario, und vorsichtig angestoßen von einer Handvoll COE-Mitglieder die über andere Ensembles bereits losen Kontakt zu Nikolaus Harnoncourt hatten.

Zu dieser Zeit konnte niemand vorhersehen, welche Auswirkungen diese Unternehmen mit sich bringen würde. Als erstes wurden Beethovens Sinfonien Nr. 6 und Nr. 8 geprobt, beide Stücke hatte das Orchester bereits vielfach gespielt. Die Eindrücke dieser allererste Proben bleiben für immer in unsere Köpfen und Gemütern eingebrannt.

Nikolaus Harnoncourts streng musikgeschichtliche Perspektive, kombiniert mit seinem außergewöhnlichen Vorstellungsvermögen, seinem Kommunikationstalent und seiner Gabe, beides zu vereinen, entsprach auf nahezu natürliche Weise dem Bedürfnis des Orchesters nach „Antworten“ und seiner Fähigkeit, in kurzer Zeit komplexe Konzepte in orchestrale Kontexte zu übertragen. Schnell und bereitwillig erfassten wir die Ideen und Techniken des rhetorischen Ansatzes und übertrugen sie in unser Spiel. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen einem modernen orchestralen Instrumentarium und des unseres sinfonischen Gegenübers aus dem 18. und 19. Jahrhundert, wurden im Hinblick auf die Entwicklung der passenden Spielweise sehr bewußt und kritisch überlegt, hinterfragt und erneut überdacht (am offensichtlichsten zu sehen in unserer Verwendung historisch orientierter Pauken und Blechblass-Instrumente). Die Ergebnisse stellten sich oft unverzüglich ein, die „Pastorale“ mit ihrem klaren Programm war vielleicht das deutlichste Beispiel: die Szene am Bach oder das Gewitter wurden lebendig und ließen uns das Fließen und die Kraft der Natur in einer Weise spüren, wie sie bis dahin keiner von uns in dieser Musik jemals so deutlich empfunden hatte. Eine Expedition in die Welt der alten Kirchentöne im Hinblick auf die cantus firmus-Motive im letzten Satz der achten Sinfonie – ein Stück, von dem wir dachten, wir kannten es gut – brachte so manchen im Orchester dazu sich zu fragen: „Setzt er das hinzu?“ Nein, tat er nicht.

Die monumentale Sinfonie Nr. 5 beendete unsere erste Konzertreihe. Wir spielten das Stück zum ersten Mal, und das Orchester war wie besessen von der Musik und der neuen musikalischen Sprache, die es damit zu erlernen gab. In der Tat waren wir so beherrscht von der Musik, dass viele sich bis heute nicht richtig daran erinnern können, wie das Konzert tatsächlich war. Eine gesicherte Erinnerung jedoch ist die Stille nach dem Schlussakkord, gefolgt erst vom lauten Stöhnen eines Zuschauers und dann von einem sich langsam im stärker steigernden Applaus.

Diese ersten Konzerte führten zu einer Einladung von Harnoncourt und dem Styriarte Festival an das Orchester, um das Experiment zu wiederholen. Die folgende Periode in Graz erwies sich als maßgeblich in der Entwicklung und Reifung der musikalischen Zusammenarbeit, und in gewisser Weise ist sie es bis heute. Viele Wochen mit Musik von Haydn, Schubert, Mozart und – natürlich – Beethoven (später auch mit Schumann, Wagner, Offenbach, Bartok, Gershwin…) in Kombination mit der quasi eingebauten österreichischen Kultur in der Grazer Residenz (von der wir lernten, wie wichtig sie für diese Musik ist!), ermöglichten es uns, einen einzigartigen musikalischen Blickwinkel und Stil zu entwicklen, der heute noch genauso intakt und einflussreich ist wie damals.

Die Arbeitsweise Harnoncourts und des COE war bestimmt von einer Kombination aus intensiver Konzentration und Humor. Harnoncourts farbenfrohes und kreativ beschreibendes Englisch wurde uns zur zweiten Natur: „chicken skin“ (= Gänsehaut), „Tongues like broken glass“ (Anweisung an die Bläser, die Mundstücke zu wechseln), „Vats (or showers!) of Cumberland sauce“ und andere Ausdrücke gingen in unsere aktiven Wortschatzes über. Dazu lernten wir unentbehrliche aber unübersetzbare deutsche Ausdrücke, die bis heute zu unserem Vokabular gehören, wie „fesch“, „weich“, „Schwung“, „keine Verstopfung“ (nicht stoppen, sondern die Musik fließen lassen) und – selbstverständlich! – „please, please, please, bitte nicht nachdrücken!” (kein Tenuto!).

Das Konzept „Schönheit liegt am Rande der Sicherheit (oder zur Katastrophe)“ wurde uns von Harnoncourt von Anfang an nahegebracht und ermutigte uns, technische Risiken zugunsten musikalischen Ausdrucks einzugehen. Eine Idee, die eher die Bestätigung eines gemeinsamen musikalischen Credos zwischen Harnoncourt und dem COE darstellt, als eine besondere Entdeckung. Schlussendlich muss jeder Spieler im Orchester selbst entscheiden, welches individuelle Risiko er oder sie zugunsten des gemeinsamen Erfolgs eingehen will. Der Respekt vor dieser Entscheidung und das Vertrauen, das Harnoncourt uns entgegenbrachte, seine Ermutigung, sein unerschöpfliches Reservoir an Energie und Fantasie, seine unendliche Freude am Musizieren haben unsere Zusammenarbeit sich erst entwicklen und dann wachsen lassen. Wir lassen Musik, die wir spielen, so frisch, wandelbar und erkenntnisreich wie sie ist.

Dane Roberts
Kontrabassist
Chamber Orchestra of Europe

Von Nikolaus Harnoncourt habe ich am meisten über Phrasierung, Musikgeschichte und Musik im Allgemeinen gelernt. Schon als Heranwachsende verbrachte ich sehr viel Zeit dem Hören von Aufnahmen, vor allem Aufnahmen des COE, die für mich bis heute Referenzen darstellen.

Ich verehre seinen revolutionären Geist, seine Leidenschaft für den tieferen Sinn von Musik (als Gegenpol zum „schnellen Musikhören/Musikmachen“, das unsere hektische und schnelllebige Gesellschaft über uns verhängt hat), seine unendliche Neugierde auf neues Repertoire, die magische Energie, die er durch seine Art des Musizieren vermittelte.

Ich wünsche jedem Musiker, mit ihm arbeiten zu können, und bin überzeugt, es gibt einen „vor und nach Nikolaus Harnoncourt“-Effekt für jeden, der dieses Glück hatte.

Clara Andrada de la Calle, Soloflötistin

Ich erinnere mich an unser erstes Konzert mit Nikolaus Harnoncourt in Wien 1986. Seine Leidenschaft und seine anschauliche Interpretation der Musik haben mich umgehauen. So etwas hatte ich bis dahin noch nicht erlebt.

Er inspirierte uns alle, jede einzelne Grenze des musikalisch Machbaren auszutesten. Er hat mein musikalisches Leben am stärksten beeinflußt, und ich kann ihm nicht genug dafür danken, dass er mir diese großartige neue Welt eröffnet hat. Wir haben viele Aufnahmen mit ihm gemacht, und ich liebe sie alle – mein persönlicher Favorit bleibt jedoch Dvořáks „Slawische Tänze“, zu denen er sagte: „Ihr müsst eure tschechischen Großmütter ausgraben.“

Fiona Brett, Geigerin

Will Conway, Solocellist
Tomas Djupsjöbacka, Cellist
Iris Juda, Geigerin
Enno Senft, Solokontrabassist
Dorle Sommer, Viola
 

Konzerte und Aufnahmen

Sehen Sie hier die Liste der Projekte, die das Chamber Orchestra of Europe mit Nikolaus Harnoncourt im Laufe der Jahre realisiert hat.

 

Videos

The Making-of the Beethoven Symphonies

Concert – Cité de la musique, Paris, 12 November 1996 (excerpt)

Concert – Cité de la musique, Paris, 24 April 1998 (excerpt)

Concert – Cité de la musique, Paris, 2 Dezember 1999 (excerpt)

Styriarte 2007 – Beethoven’s Missa Solemnis und Beethoven’s Symphony No. 5 (1st Mvt.)

Styriarte 2010 – Ma Vlast Probe, Smetana

Styriarte 2011 – Die Verkaufte Braut, Smetana

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